Entwicklung von Fertigungsverfahren zur Herstellung von Mikroprodukten

Forschungsziel der FOR 702

Die Forschergruppe 702 hatte sich zum Ziel gesetzt, Fertigungsverfahren zur Herstellung von Mikroprodukten aus Kunststoffen, Metallen und Keramiken über eine fluidische Phase der gewünschten Werkstoffe zu entwickeln. Es wurden nach mikrospezifischen Gesichtspunkten besonders aussichtsreiche und für die Mikrotechnik neue Prozesskonzepte zur Herstellung von Mikroprodukten erforscht. Bei der Formgebung sollten die durch die Mikrodimensionen auftretenden besonderen Herausforderungen nicht nur gemeistert, sondern auch mikrospezifische Phänomene für die Formgebung vorteilhaft genutzt werden.

In der Forschergruppe wurden insbesondere folgende Technologien untersucht: eine schnelle Ultraschallplastifizierung für Kunststoffschmelzen, eine Schmelzevorkompression vor der Kavität für eine bessere Formfüllung von Kunststoffmikrobauteilen, eine Gießanlage für das Kapillardruckgießen von Metallmikrobauteilen, das Mikrospritzgießen unter verlangsamter Abkühlung und verminderter oxidativer Belastung und das Zweikomponenten-Spritzgießen von partiell leitfähigen, mikrostrukturierten Kunststoffformen.

Die Forschergruppe setzte sich aus vier Instituten mit Sitz in West- und Süddeutschland zusammen, die sich durch ihre Vorarbeiten bereits seit Jahren kennen und sich intensiv mit der Verarbeitung von Werkstoffen über eine flüssige Phase und die Charakterisierung bis in Mikrodimensionen beschäftigt haben. Beteiligte Forschungseinrichtungen waren das Institut für Kunststoffverarbeitung in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen, der Lehrstuhl für Kunststofftechnik der Universität Erlangen-Nürnberg, das Institut für Werkstoffkunde der Leibniz Universität Hannover und das Institut für Angewandte Materialien - Werkstoffprozesstechnik (IAM-WPT) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Am IKV wurde das Teilprojekt 2 umgesetzt: Für das Spritzgießen von Mikroteilen sollte mit der Ultraschallplastifizierung ein Verfahren geschaffen werden, das minimale Schmelzemengen innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stellen kann. Somit sollten die für das Mikrospritzgießen bekannten Nachteile konventioneller Maschinentechnik (lange Verweilzeiten der Kunststoffschmelze, überdimensionierte Angüsse, unzureichend genaue Prozessführung) minimiert werden.

Weiterführende Informationen zum am IKV erforschten Teilprojekt

Die Idee, Ultraschall bei der Herstellung von Kleinstformteilen zu nutzen, wurde vor dem Hintergrund formuliert, dass bisher kein optimal geeignetes Spritzgießmaschinenkonzept existiert, um Kunststoffeinzelteile mit Schussgewichten (inklusive Anguss) kleiner 0,01 g herzustellen. Genutzt wird der aus dem Schweißen von Kunststoffen bekannte Effekt, Werkstoffen mittels Ultraschall die zum Aufschmelzen notwendige Energie zuzuführen.

In den Mikrospritzgießprozess integriert, kann die Sonotrode als schwingungserzeugende Komponente der Ultraschallanlage folgendermaßen eingebunden werden: Entweder ist diese in einer separaten Plastifizierkammer angeordnet, von der die aufbereitete Schmelze in den Einspritzzylinder überführt wird, oder sie dient gleichzeitig als Einspritzkolben, der die Schmelze in eine Kavität drückt.

Zielsetzung des Teilprojekts

In dem Vorhaben sollte die Verfahrensidee des Ultraschallplastifizierens, deren prinzipielle Machbarkeit bereits vor einiger Zeit nachgewiesen wurde, für verschiedene ungefüllte und gefüllte Formmassen analysiert werden. Es sollte des Weiteren überprüft werden, inwieweit sich schon aus dem Ultraschallschweißen bekannte Erkenntnisse auf die Ultraschallplastifizierung übertragen lassen und welche Parallelen bezüglich der Verarbeitungsgrenzen beider Verfahren gezogen werden können.

Ziele im weiteren Projektverlauf waren, sowohl die physikalischen Zusammenhänge bei der Erwärmung grundlegend zu erarbeiten und zu modellieren, als auch durch die Verarbeitung verschiedener Polymerwerkstoffe ein breites Prozesswissen aufzubauen. Die Vorteile des Verfahrens sowie deren Restriktionen sollten für verschiedene Fragestellungen bezüglich des Prozesses wie Materialschädigung oder Formteilhomogenität aufgezeigt werden.

Wesentliche Ergebnisse der 1. Förderperiode

In der ersten Projektphase wurde ein Ansatz zur Verfahrensmodellierung entwickelt und grundlegende Zusammenhänge der Ultraschallplastifizierung vor dem Hintergrund des Werkstoffverhaltens und der Anlagentechnik einschließlich der veränderbaren Parameter systematisch erarbeitet. Die Wechselwirkungen der physikalischen Größen wurden in einer umfassenden Effektmatrix dargestellt. In praktischen Versuchen erwiesen sich zunächst die aufzuschmelzende Materialmenge, der eingesetzte Werkstoff, die gewählte Anregungsamplitude sowie die Gestaltung der Plastifizierkammer als entscheidend für das Plastifizierergebnis. Dies zeigte sich insbesondere beim Einsatz von Granulat als Ausgangshalbzeug, da in diesem Fall äußere Reibungsverluste zu einem Großteil der dissipierten Energie beitragen und Schmelze verstärkt in den Kontaktflächen gebildet wird.

Mit der Verfahrensvariante der Direktinjektion wurde die Ultraschallplastifizierung ferner zu einem frühen Zeitpunkt dazu verwendet, Testbauteile in Kleinserien zu fertigen. Im Zuge dessen wurde der Versuchsstand in mehreren Stufen angepasst und erweitert, sodass er zur Bestimmung von Prozessfenstern, der Bauteilherstellung über die Direktinjektion, für Untersuchungen zur Materialdegradation und zur Analyse des Aufschmelzverhaltens genutzt werden konnte. Die Abformung von Mikrokavitäten geang auch im Detail, jedoch bestanden Einschränkungen hinsichtlich der erreichbaren Fließlängen. Über Messungen zur Materialdegradation ließ sich zum Teil gar kein molekularer Abbau feststellen, zum Teil lag er in der Größenordnung konventionell spritzgegossener Formteile.

Wesentliche Ergebnisse der 2. Förderperiode

In der zweiten Projektphase wurden die beiden Aufheizmechanismen (Kontaktflächenreibung und volumetrische Dämpfung) umfassend analysiert. Die Untersuchungen wurden so gestaltet, dass beide Effekte getrennt voneinander betrachtet werden konnten. Die volumetrische Erwärmung wurde mit geometrisch definiertem Plattenmaterial durchgeführt, das genau das Volumen der Plastifizierkammer ausfüllte. Somit konnten die lateralen Bewegungen und die damit einhergehende Kontaktflächenreibung minimiert werden. Die Aufheizkurven wurden mit einem IR-Werkzeuginnenthermometers sowie über eine Infrarotkamera dokumentiert.

Der Temperaturverlauf während der Plastifizierung lässt sich in zwei Teilbereiche untergliedern, die sich durch unterschiedliche Heizraten auszeichnen. In der ersten Phase des Prozesses findet ein moderates Aufheizen der Probe statt. Im zweiten Teilbereich steigt die Temperatur aufgrund des höheren Dämpfungsvermögens im Bereich des Glasübergangs des Kunststoffs deutlich schneller an. Hier sind Heizraten von 1500-2000 K/s möglich. Nach den kurzen Aufheizphasen stagniert die Temperatur jeweils auf einem Niveau im Bereich der Verarbeitungstemperatur der Materialien. Temperaturen oberhalb des Niveaus sind nur schwer zu realisieren. Die experimentellen Untersuchungen lassen sich in erster Näherung auch gut mithilfe eines analytischen Prozessmodells abbilden. Unter der Annahme einer adiabaten Plastifizierkammer und einer isotropen Erwärmung im Kunststoff kann die Probentemperatur mithilfe extrapolierter Werkstoffkennwerte iterativ berechnet werden.

Neben den Analysen zu den verschiedenen Plastifiziermechanismen wurde auch das Homogenisierungspotenzial des Verfahrens analysiert. Dabei wurde unabhängig von dem verwendeten Ausgangshalbzeug eine nur geringe Mischwirkung bei der Plastifizierung mit Ultraschall festgestellt. Die erreichbare Materialhomogenität kann dabei nur geringfügig von den Prozessparametern beeinflusst werden und ist primär von dem verwendeten Halbzeug abhängig. Für die Herstellung von qualiativ hochwertigen Mikrobauteilen ist es daher ratsam, pulverförmige Ausgangsmaterialien zu wählen.

Um den möglichen industriellen Nutzen des Verfahrens aufzeigen zu können, wurde die Ultraschallplastifizierung in die Mikrospritzgießmaschinentechnik integriert. Durch die Kopplung mit einem hochdynamischen Einspritzkolben sind wesentlich höhere Einspritzdrücke (von bis zu 2000 bar) realisierbar. Darüber hinaus wurde eine dynamische Werkzeugtemperierung integriert, um eine höhere Abformgenauigkeit erreichen zu können. Erste Analysen mit diesem neuen Verfahren wurden anhand einer Mikroschraube durchgeführt.

 

Publikationen

2012

Analysis and comparative assessment of different process technologies for manufacturing polymer micro-elements
Drummer, D.; Ehrenstein, G.W.; Hopmann, C.; Vetter, K.; Meister, S.; Fischer, T.; Piotter, V.; Prokop, J.

J. Mat. Sc. Eng. A, in press.

Expansion-injection-molding (EIM) by cavity near melt compression - about the process characteristic
Drummer, D.; Vetter, K.

CIRP Journal of Manufacturing Science and Technology

Long Term Properties of Injection Moulded Micro-Parts: Influence of Part Dimensions and Cooling Conditions on Ageing Behaviour
Drummer, D.; Meister, S.; Jungmeier, A.

Macromolecular Materials and Engineering (2012) (DOI: 10.1002/mame.201100379)

Präzise Abformung von Mikrostrukturen mittels Expansionsspritzgießen
Drummer, D.; Vetter, K.

Mikroproduktion 10 (2012) 3

Ultraschallplastifizieren kleinster Schmelzemengen
Hopmann, Ch.; Fischer, T.

Mikroproduktion 10 (2012) 2, S. 46-50

Galvanoformung in partiell leitfähigen Kunststoffformen
Prokop, J.; Lorenz, J.; Piotter, V.; H.-J. Ritzhaupt-Kleissl

Mikroproduktion 10 (2012) 2, S. 51-55

Orientierungsarme Mikrobauteile durch langsame Abkühlung
Drummer, D.; Meister, S.

Mikroproduktion 10 (2012) 4

Oberflächenveredlung von Mikrobauteilen mittels Metall-Kapillardruckgießens
Bach, Fr.-W.; Prehm, J.; Dellinger, U.; Holländer, K.; Möhwald, K.

Mikroproduktion

Innovative Prozesstechnologien für die Mikrofertigung
Drummer, D.; Bach, F.-W.; Hopmann, Ch.; Möhwald, K.; Piotter, V.; Fischer, T.; Meister, S.; Prehm, J.; Prokop, J.; Vetter, K.

Mikroproduktion 10 (2012) 1, S. 50-57

2011

Wechseltemperierung steuert Bauteileigenschaften
Drummer, D.; Gruber, K.; Meister, S.
Kunststoffe 101 (2011) 4, S. 46-49

Manufacturing of polymer micro parts by ultrasonic plasticization and direct injection
Michaeli, W.; Kamps, T.; Hopmann, Ch.
Microsystem Technologies, 17 (2011) 2, S. 243-249

Mechanical testing of micro samples produced by a novel LIGA related process chain
Prokop, J.; Eberl, C.; Funk, M.; Prüfe, P.; Lorenz, J.; Piotter, V.; Welz, M.; Ritzhaupt-Kleissl, H.J.
Microsystem Technologies, 17(2011), S. 281-288 (DOI:10.1007/s00542-011-1256-4)

Alternating Temperature Technology Controls Parts Properties
Drummer, D.; Gruber, K.; Meister, S.
Kunststoffe International 101 (2011) 4, S. 25-27

Expansion-injection-molding (EIM) by cavity near melt compression - about the process characteristic
Drummer, D.; Vetter, K.
CIRP Journal of Manufacturing Science and Technology 4 (2011) 4, S. 376-381

2010

Manufacturing of polymer micro parts by ultrasonic plasticization and direct injection
Michaeli, W. Kamps, T., Hopmann, Ch.
Microsystem Technologies 17 (2010) 2, S. 243-249

Tiniest parts, greatest benefit
Michaeli, W. Kamps, T.
German Research (2010) 2, S. 25-26

Mechanical testing of micro samples produced by a novel LIGA related process chain
J. Prokop, C. Eberl, M. Funk, P. Prüfe, J. Lorenz, V. Piotter, M. Welz, H.-J. Ritzhaupt-Kleissl
Microsystem Technologies Volume 17 (2010) 2, S. 281-288

New Aspects of Process-Induced Properties of Micro Injection Molded Parts
Jungmeier, A.; Ehrenstein, G.W.; Drummer, D.
Plastics, Rubber and Composites: Macromolecular Engineering 39 (2010) 7, S. 308-314

How mold inserts influence the replication of metallic microparts produced by electroplating into two-component templates
Prokop, J., Heneka, J., Lorenz, J., Moehwald, K., Piotter, V., Ritzhaupt-Kleissl, H.J., Vetter, K., Hausselt, J.
Microsystem Technologies, 16 (2010) S. 13-18

Multi-component microinjection moulding - trends and developments
Piotter, V., Prokop, J., Ritzhaupt-Kleissl, H.J., Ruh, A., Haußelt, J.
International Journal of Advanced Manufacturing Technology, 47 (2010) S. 63-71

2009

Manufacturing of nickel, copper, and ceramic micro parts through the MSG/MSE process
Prokop, J., Lorenz, J., Elsenheimer, H., Piotter, V., Ritzhaupt-Kleissl, H.J., Haußelt, J.
Saile, V. [Hrsg.]. 4M/ICOMM 2009 : The Global Conf.on Micro Manufacture, Karlsruhe, September 23-25, 2009. London : Professional Engineering Publ., 2009 S. 107-09. Engineering Conferences Online

Improving properties of microparts by slow cooling
Jungmeier, A.; Ehrenstein, G.W.; Drummer, D.
SPE Plastics Research Online. DOI: 10.1002/spepro.4038

Durchschaut - Strukturanalyse von spritzgegossenen Mikroteilen
Jungmeier, A.; Hülder, G.; Schmachtenberg, E.
Plastverarbeiter 60 (2009) 7, S. 36-38

Gießformen mit Kapillareffekt: Neuartiges Gießverfahren für Mikrokomponenten
Bach, Fr.-W. ; Möhwald, K.; Prehm, J.; Hartz-Behrend, K.; Roxlau, C.
Giesserei Erfahrungsaustausch, Heft 3 2009, S. 22-23

Prozessinnovationen mit Potenzial
Michaeli, W.; Hessner, S.; Kamps, T.; Klaiber, F.; Michaelis, I.; Schreiber, A.
Kunststoffe 99 (2009) 2, S. 93-97

Temperaturänderung bei der Kompression und Expansion von Kunststoffschmelzen
Rudolph, N.; Vetter, K.; Kühnert, I.
Kunststofftechnik 6 (2009) 4, S. 249-277

Charakterisierung der Struktur teilkristalliner Thermoplaste mittels Kleinwinkellichtstreuung
Jungmeier, A.; Vetter, M.; Schmachtenberg, E.
Praktische Metallographie, 46 (2009) 4, S. 173-193

2008

Manufacturing process for high aspect ratio metallic micro parts made by electroplating on partial conductive templates
Prokop, J.; Finnah, G.; Lorenz, J.; Piotter, V.; Ruprecht, R.; Haußelt, J.
Microsystem Technologies 14 (2008), S. 1669-1674

Mikrospritzgussteile langsam abkühlen
Lurz, A.; Schmiederer, D.; Kühnert, I.; Schmachtenberg, E.:
Mikroproduktion 6 (2008) 3, S. 46-50

Local Thermo-Oxidative Degradation in Injection Molding
Schmiederer, D.; Gardocki, A.; Kühnert, I.; Schmachtenberg, E.
Journal of Polymer Engineering and Science 48 (2008) 4

Schonende Spritzgießverarbeitung durch lokalen Ausschluss von Sauerstoff
Schmiederer, D.; Kühnert, I.; Schmachtenberg, E.
Zeitschrift Kunststofftechnik 4 (2008) 2

Einflüsse auf die Eigenschaften kleiner und dünnwandiger Spritzgussteile – Teil 2: Bedeutung der Wärmeleitfähigkeit des Werkzeugwerkstoffs
Lurz, A.; Kuehnert, I.; Schmachtenberg, E.
Zeitschrift Kunststofftechnik 4 (2008)

2007

Mehr Vielfalt in der Mikroformgebung
Piotter, V.; Plewa, K.; Prokop, J.; Hausselt, J.
Mikroproduktion 3/2007, Carl Hanser Verlag, München, S. 52-55

Mit neuen Prozessketten zu wirtschaftlicher Mikrofertigung
Michaeli, W.; Kamps, T.; Schmachtenberg, E.; Lurz, A.; Vetter, K.; Schmiederer, D.; Bach, F.-W.; Möhwald, K; Hartz, K.; Piotter, V.; Prokop, J.
Mikroproduktion 4/2007, Carl Hanser Verlag, München

2006

Einflüsse auf die Eigenschaften kleiner und dünnwandiger Spritzgussteile
Schmiederer, D.; Schmachtenberg E.
WAK Kunststofftechnik 2 (2006) 5

Dr.-Ing. Christoph Zimmermann

Abteilungsleiter Spritzgießen +49 241 80-93827 christoph.zimmermann@ikv.rwth-aachen.de

Haben Sie Fragen zu diesem Thema? Dann freue ich mich auf Ihren Anruf oder Ihre Nachricht.

Keine Nachrichten verfügbar.